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Ein theaterliterarisches Kleinod

Ein theaterliterarisches Kleinod

Rheinpfalz, Ausgabe vom 28.10.2025 von Marcus Fuhser.

Anja Kleinhans widmet sich in Rodalben Duncan Macmillans „All das Schöne“.

Ein Theaterstück als Stuhlkreis, mit einer Schauspielerin in Aktion in der Mitte und rund 30 Zuschauende um sie herum?

Ganz geschickt für ein Stück mit dem Grundthema Depression könnte man meinen, doch das greift für die Inszenierung des Theaterabends der Gräfensteiner Theaterspiele im Rodalber Dr.-Lederer-Haus mit der Schauspielerin Anja Kleinhans viel zu kurz.

Denn „All das Schöne“ des mehrfach ausgezeichneten Autors und Regisseurs Duncan Macmillan gilt als theaterliterarisches Kleinod, das auf subtile Weise existenziell schwere Themen wie Depression und Suizid mit Lebensfreude, Humor und Leichtigkeit verwebt. Und Kleinhans vom bekannten „Theader Freinsheim“, das sich jetzt Theater der Liebe nennt, nutzte das Stuhlkreis-Szenario sehr geschickt, um dem Stück mit der Achterbahn der existenziellen Gefühle eine sehr berührende Intensität zu geben.

In Form eines Monologs entwirft Macmillan in seinem Stück eine Liste der Dinge, die das Leben lebenswert machen – begonnen von einer Siebenjährigen, die mit dem Selbstmordversuch ihrer Mutter konfrontiert wird. Eine Liste, die die Tochter in der Hoffnung beginnt, dass die Mutter diese liest und die mit „1. Eiscreme, 2. Boxauto fahren und 3. ,länger aufbleiben dürfen, inklusive fernsehen’“ beginnt und sich im Lauf der Zeit und fast eines gesamten Lebens zu einer Sammlung von einer Million kleiner Freuden erweitert. Die einzelnen Glücksmomente – von Eiscreme über den Geruch alter Bücher bis hin zur Musik oder dem Spiel mit Freunden – stehen im Kontrast zur immer wieder aufscheinenden Grundstimmung der Verzweiflung und Kleinhans entwirft in ihrem Monolog eine universelle Bühne für ein Publikum, das die Schauspielerin einfühlend und direkt beteiligt. Mit dem Vorlesen von Einträgen aus der Liste beispielsweise, auf Zetteln, die Kleinhans zuvor verteilt hatte oder mit kleinen Rollenzuweisungen, die die Schauspielerin dann direkt adressieren, ansprechen konnte: Der Tierarzt, der ihren Hund Annibell einschläfern muss, eine erste Konfrontation mit dem Thema Tod. Der Vater, in dessen Leben die Musik eine große Rolle spielt und somit im Leben der Tochter auch. Die Therapeutin mit dem „Sockenhund“. Dazu werden Glücksmomente erinnert, an gemeinsames Singen von Vater, Mutter und Tochter in der Küche, in der ein Klavier steht.

Im Teenageralter ein erneuter Suizidversuch der Mutter, auf die die Tochter hilflos mit Wut reagiert, mit wüsten Beschimpfungen der Mutter und Verwünschungen im Krankenhauszimmer. Und sie führt die wiedergefundene Liste weiter, entdeckt Weltliteratur, die sich mit dem Thema Suizid beschäftigt, Goethes „Die Leiden des jungen Werther“, prominent dabei. Im Monolog entfaltet sich weiter ein ganzes Leben, Studium und Heirat, Alltag und Auseinanderleben und die Einsicht, dass auch ihr, der Tochter, die Depression nicht fremd ist.

Kleinhans setzte in ihrem sehr intensiven Spiel stark auf intime Nähe – sowohl räumlich als auch emotional – und erlaubte dem Publikum damit, ganz nah dabei zu sein. Auch über Mimik und Gestik in ihren dynamischen Rollenwechseln zeigte sie die Vielschichtigkeit der Figur vom Kind bis zum Erwachsenen.

Doch das Spiel mit verteilten Rollen hatte auch seine Tücken, manche im Publikum fühlten sich wohl überfordert. Auch das Einspielen nicht weniger meist nur sekundenlanger Musiktitel, von der Schauspielern selbst mit Hilfe ihres Handys gesteuert, riskierte es öfter, den Monolog aus dem Fluss bringen. Der Großteil des Publikums interessierte sich aber sehr für das Stück mit seinem Plädoyer für das trotz allem Lebenswerte im Leben und für dessen Inszenierung durch Anja Kleinhans – weit über die Hälfte aller an diesem Theaterabend nahmen das Angebot der Schauspielerin an, im Anschluss über Stück und Themen mit ihr zu diskutieren.